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Empathie versus Testosteron. Karen Duve. Warum die Sache schiefgeht.

Vernebelte Welt. Vernebeltes Deutschland. Eine Sicht auf die Wirklichkeit ist nahezu unmöglich. Nahezu. Denn zum Glück konnte die Autorin Karen Duwe genügend produktive Wut zusammenklauben um eine Lichtschneise durch die trübe Sicht auf die Zustände in der Welt zu schlagen. Sie konnte sich abwenden von der Illusion, dass hier „doch eigentlich gar nichts los“ sei. Eine Illusion, die ihrer These nach durch den komfortablen Lebensstil entsteht, der hierzulande gepflegt wird. Egal, ob gerade irgendwo auf dem Erdball der Lebensraum anderer Menschen unter Wasser steht, allein im Jahr 2013  880 Naturkatastrophen gezählt wurden. Klimaveränderungen gab es schon immer, also keine Panik. Uns trifft es ja sowieso nicht. Oder doch?

„Wenn wir tatsächlich zu arglos sind, um uns das kommende Szenario auszumalen, warum werden dann inzwischen Reissorten entwickelt, die mehrere Überschwemmungen überstehen und es länger als zwei Wochen unter Wasser aushalten können?“

Steuern wir demnach sehenden Auges unserem eigenen Untergang entgegen? Das Problem besteht nach Meinung der Autorin darin, dass es die jetzige entscheidungsverantwortliche Generation (Jahrgang 50) und deren Kinder noch nicht so dramatisch erwischen wird, wie deren Enkel. Also warum jetzt bereits den eigenen Konsum einschränken, wenn so schön bequeme große Autos wie noch nie produziert werden, in die wir unsere Hintern unglaublich gerne betten möchten. Außerdem müssen wir alle doch durch unsere Kaufkraft zum Wirtschaftswachstum beitragen! Duwe nennt dieses rücksichtslose Verhalten „Generationenimperialismus„, und er wird vor allem von denen betrieben, die an den längeren Hebeln sitzen:

“ Bei Licht betrachtet, sind wir noch immer die alten Affen und unsere moderne Industriegesellschaft ist noch immer eine hierarchisch organisierte Primatengesellschaft, die sich an den jahrtausendealten Schimpansenregeln der Herrschaft und Unterdrückung orientiert.“

Die Autorin nimmt anhand dieser Erkenntnis eine genauere Typisierung des heutigen Machtmenschen vor. Sie formuliert eine einleuchtende Gleichung:

Rücksichtslosigkeit steht gleichbedeutend für Führungsstärke.

Bis heute sind es vor allem männliche Subjekte, die eine Führungsposition innehaben und es folgt logischerweise aus der Gleichung die eine Konklusion:

wenn rücksichtsloses Verhalten semantisch gleichzusetzen ist mit Führungsstärke, und nur Männer wichtige Positionen z.B.  in der Finanzwelt innehaben, heißt das, dass Männer rücksichtsloser sind als Frauen.

Uiuiui! Kein Wunder, dass diese Aussage die Rezensent/innen auf die Palme gebracht hat. Aber Fakt ist nun einmal, dass „da oben“ keine Frauen sitzen, und wir können uns doch die Frage stellen, warum das so ist? Warum setzt sich das weibliche Geschlecht nicht soweit durch, dass es in der oberen Liga mitmischen kann? Duwe rudert mit ihrer männerkritischen These immer wieder zurück, indem sie betont, dass es auch ein Problem der stillen und schüchternen Frauen sei, sich zurückzuziehen und durch ihre Passivität eine Mitschuld am Zustand der Welt zu tragen. Ohne Mitläuferinnen wäre der dickste Primat entmachtet. Aber Duwe bleibt nicht im Halbgaren und provoziert unsere Tiefschlafgesellschaft weiter mit Sätzen wie:

Männlichkeit ist eine minder schwere Form von Autismus„.

Das psychologische Profil eines autistischen Menschen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er die Belange seiner Mitmenschen emotional gar nicht wahrnimmt. Folglich empfindet er auch keine Reue oder Scham bei einem Fehlverhalten seinerseits. Eine gute Voraussetzung um es bis an die Spitze zu schaffen. Mittlerweile sind nicht nur Geisteswissenschaftler/innen sondern auch Hirnforscher/innen auf dieses Problem aufmerksam geworden und kommen zu einem physiologischen Erkenntnisansatz:

„Die Ursache liegt in ihrem Gehirn. Es handelt sich um einen Defekt im paralymbischen System, das für Impulskontrolle sorgt und moralische Entscheidungen trifft. Dort werden unsere Erfahrungen an Gefühle gekoppelt. Bei Psychopathen ist dieser Hirnbereich weniger aktiv und strukturell schwächer. Sie sind gar nicht in der Lage, Reue, Scham oder Mitgefühl zu empfinden.“

Wenn psychopathische Verhaltensweisen nun als Führungsqualitäten angesehen werden, besteht die Gefahr, dass die Angestellten im Unternehmen das Verhalten des Chefs als Norm begreifen und unhinterfragt übernehmen („groupthink„-Phänomen). Tendenziell empathische Individuen drängen dabei ihr im sozialen Gefüge erworbenes ethisches Verhalten in den Hintergrund, weil sie es als lästig und wenig karrierefördernd begreifen.

Interessanterweise echauffieren sich besonders die weiblichen Rezensenten über den oben zitierten Satz (Frankfurter Allgemeine vom 10.11.2014: Ursula Scheer. Weg mit den irren Alphamännchen!). Als bräuchten sie den Glauben an die Kraft der Alphatiere, weil sie ohne sie ja doch nicht überleben können. Dabei ist es gerade andersherum: Männer wären ohne eine treue, aufopferungsbereite, ehrenamtliche Unterstützerinnengemeinde niemals auf die Chefsessel gekommen.

Aber Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Ich denke, wir müssen anders an „die Sache“ rangehen und uns grundsätzlich fragen:

Wer hätte überhaupt die Kraft, den richtigen Impuls dazu, die Erde vor dem Kollaps zu bewahren?

Männer hatten über Jahrhunderte die alleinige Regierungsmacht. Und somit auch die Definitionsmacht darüber, wer nun eigentlich das fähigere Geschlecht ist. Duwe bemerkt dazu:

„Über Jahrhunderte den Frauen den Zugang zu Universitäten zu verweigern, und sich dann hinzustellen und die Überlegenheit des eigenen Geschlechts als ewige kosmische Wahrheit darzustellen, die sich schon allein daran ablesen lässt, dass alle wichtigen Erfindungen und großen Konstruktionen stets von Männern gemacht worden sind, dazu gehört schon eine ordentliche Portion Selbstgefälligkeit.“

Wenn das weibliche Geschlecht nun nach Duwe und einigen Wissenschaftlern empathiefähiger ist, dann geben wir der Herrschaft der Emotionen doch eine Chance. Fördern wir einen emotionaleren Zugang zur Welt, einen Wandel vom testosterongeleiteten Handeln der Alphatiere hin zur Herrschaft einer emotionalen Rationalität (z.B. durch die Frauenquote). Die Möglichkeit, dass Frauen für einige Posten qualifizierter wären, besteht – aber auch Männer nach dem Vorbildtypus „dm-Chef“ hätten endlich eine Chance.

Nebenbei bemerkt: Zuviel Testosteron tut niemandem gut. Auch nicht den Frauen. Man(n) wird aggressiv und die von Johann Gottfried Herder anthropologische (emotionale!) Tugend der Besonnenheit verliert ihren Einfluss.

Duwe schlägt ohne Zweifel mit ihrer teilweise spekulativen Argumentation über die Stränge, weil sie sämtliche große politische Themen auf knapp 180 Seiten abhandelt, ihre intutive Meinung mit der Lektüreerkenntnis einschlägiger wissenschaftlicher Abhandlungen vermengt und so eine radikale, argumentativ durchaus anfechtbare Mischung entsteht. Aber gerade deswegen ist dieser Text so unglaublich wohltuend. Weil es dieses kompromisslose Pamphlet auf seine aufweckende Art schafft, eine Diskussion über den Zustand der Welt anzustoßen und dabei unserer Weichspülergesellschaft eine Tatsache verdeutlicht:

Dass der Planet Erde seinem Untergang entgegen schlittert, wenn wir nicht jetzt sofort etwas dagegen unternehmen.

Duwe bietet uns keine rettende „Lösung“ gegen den Kollaps.

Deswegen soll uns der leider früh verstorbene Satiriker der Neuen Frankfurter Schule, Robert Gernhardt, in seinem „Sinngedicht“ einen Ansatz anbieten:

Sinngedicht:

Sei gut zu dir.

Die Welt ist schlecht.

Das Unrecht blüht,

nimm Dir das Recht

und tu den Schritt

zum Ich vom Wir:

Die Welt ist schlecht.

Sei gut zu dir.

 

Über den eigenen Sinn im Leben kann ich nur nachdenken, indem ich den Schritt aus der Gruppe (Wir) zu mir (Ich) mache. Um ein Gespräch mit Sich führen zu können; einen kurzzeitigen Trennungsstrich zwischen mir und den Anderen zu ziehen. Damit ich begreife, woraus der eigene beglückende „Sinn“ besteht.

Vielleicht merkst du in deiner Vereinzelung schließlich, dass du nicht wie alle um dich herum dieselbe schwarze, große Hippsterbrille auf der Nase tragen musst, nur um ein Gefühl der künstlichen Zugehörigkeit zu erzeugen. Möglicherweise erhälst du ein viel länger anhaltendes Gefühl der Zufriedenheit, indem du zum Beispiel durch die Restbestände eines Waldes streifst und seine unverstellte Natürlichkeit genießt. Um dann zu begreifen, worum es eigentlich geht:

individuell im Kollektiv zu denken, nach Duwe „groupthink“ – Phänomenen entgegenzuwirken und die richtigen Entscheidungen mithilfe deiner eigenen Meinung in einer pluralistischen Gesellschaft zu fällen und sie damit positiv zu verändern.

 

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