Zwei Jahre ist es her, dass die #metoo-Debatte im Zuge des Weinstein-Skandals hohe Wellen, vor allem in den sozialen Netzwerken, schlug. #Metoo erfuhr daraufhin zahlreiche intellektuelle Verarbeitungs- und Interpretationsversuche von Autorinnen und Autoren, die mich entweder wegen ihrer Substanzlosigkeit ratlos zurückließen (Jagoda Marinic, Sheroes), oder wütend machten (Svenja Flaßpöhler, Die potente Frau). Auf die Autorin Marinic möchte ich nicht weiter eingehen, weil ihr einziger Punkt derjenige ist, dass sie die #metoo Debatte als positiv bewertet und in sehr naivem und wenig reflektierten Duktus zum Dialog, auch mit den Männern, aufruft. Immerhin lädt sie in ihrer knappen Abhandlung dazu ein, offen über Geschlechterrollen und Macht zu sprechen.
Flaßpöhler bezeichnet die Debatte als Rückschritt. In ihrem Vorwort zu Die potente Frau plädiert sie dafür, dass die moderne Frau von heute doch endlich aus ihrer Opferrolle heraustreten solle, um als das zu erscheinen, was sie sei. Die potente Frau ist eine Möglichkeit. Warum ergreifen wir sie nicht? Flaßpöhlers Grundannahme ist, dass heutzutage nicht mehr in jedem Chefsessel ein Harvey Weinstein sitzt, womit sie sicher milieuspezifisch recht hat. Doch selbst wenn sich zumindest in der Filmbranche etwas geändert hat, wie sieht es in weniger privilegierten Milieus aus, wie zum Beispiel in der Reinigungsbranche? Die Philosophin blendet in ihrem Text gesellschaftliche Gruppen und damit die hart arbeitenden Frauen aus, die außerhalb ihrer akademisch-elitären gedanklichen Reichweite liegen. In Fleischmarkt setzt die Feministin Laurie Penny berechtigterweise ganz andere Akzente. Einen Großteil der Drecksarbeit auf der Welt verrichten immer noch Frauen. Sie arbeiten ohne Bezahlung (Hausarbeit), oder völlig unterbezahlt, zum Beispiel für einen Reinigungsdienst. Auch Penny spricht von der Möglichkeit, der Macht der Frau, sich gegen diese Missstände in der Theorie (!) zu wehren. Sie nennt dies das Recht auf Verweigerung, das jedoch dadurch in der Praxis selten ausgeübt wird, weil seine Möglichkeit gesellschaftlich geleugnet wird und zwar ganz konkret dadurch, dass diesen Frauen ihr Lohn, also das, was sie zu anerkannten Menschen macht, vorenthalten wird. Letztlich fehlt den Frauen das Selbstbewusstsein ihre Rechte einzufordern, weil sie im Kapitalismus wie Sklavinnen gehalten werden.
Flaßpöhler argumentiert phänomenologisch, hat nicht den wirtschaftlich marginalisierten (äußeren) Körper der Frau im Blick, auf dem gesellschaftlich bedingte Kämpfe ausgetragen werden, sondern die sogenannte Leiblichkeit, das subjektive Empfinden durch Erfahrungen. Mit dem Philosophen Thomas Nagel stellt sie fest, dass sich Männer als Männer empfinden und Frauen als Frauen. Fremdpsychisch ist es weder für den Mann noch für die Frau möglich, das innere Empfinden des anderen nachzufühlen und zwar genau so, wie es tatsächlich ist. Soweit so gut. Flaßpöhler schlussfolgert allerdings daraus, dass diese geschlechtsspezifischen eigenen Erfahrungen der Frau, zum Beispiel das Wissen um die Möglichkeit, ein Kind zu gebären, ihr letztlich, wenn sie nur will, das Vermögen gibt, sich gegenüber der Männer zu behaupten.
Es stimmt natürlich, dass genau diese Macht („mater semper certa est“) bereits vor Jahrhunderten bei den Männern eine panische Angst ausgelöst hat und zu paternalistischen Reaktionen führte. Problematisch ist aber hier, dass sie die Selbstermächtigung der Frau einzig und allein über ihre geschlechtliche Potenz beschreibt. Diese innerlich versteckte, ganz eigene Kraft, die kein Mann besitzt, gibt der Frau nach Flaßpöhler die Freiheit, sich in einer bedrängenden Situation zur Wehr zu setzen:
Wenn ich mich belästigt fühle, dann bin ich – in der Regel – der Situation keineswegs ausgeliefert. Ich kann kontern oder auf charmante Weise zum Ausdruck bringen, dass ich kein Interesse habe. Ich kann es ablehnen, ein Bewerbungsgespräch im Hotelzimmer zu führen. Ich kann, wie man so schön sagt, einen Mann vor den Kopf stoßen, indem ich seinem Willen nicht entspreche.
Hier bekommt man den Eindruck, Frau Flaßpöhler betrachte vor allem sich selbst. Als Phänomenologin müsste sie aber immer auch den erkennenden Blick auf die Welt und ihre Erscheinungen darin richten. Sicher sind es gutgemeinte Sätze, die eine positive Erzählung über die Zukunft der Frauen einläuten sollen. Flaßpöhler möchte, dass wir uns abwenden von den Opfererzählungen der Vergangenheit, denn nur dann wird die Frau dem Mann ebenbürtig und kann Angst in Lust verwandeln.
Doch ist sexuelle Selbstermächtigung wirklich die neue Weiblichkeit der Frau, die propagiert werden sollte?
Selbstermächtigung funktioniert doch vor allem über die – ich nenne das jetzt Potenz des Geistes – , darüber, dass ich als Kind die Möglichkeit erfahren habe, genug Bildung zu erhalten, um mich a.) verbal und zur Not auch mit Kampftechniken zu verteidigen und b.) mir deswegen gegebenenfalls einen anderen Job suchen zu können, wenn nämlich meine „charmante“ Verweigerung, mit dem Chef der Reinigungsfirma zu schlafen dazu führt, dass ich meinen Job verliere. Die ganz subjektive Empfindung meiner Gebärmutter führt hier keineswegs zu einer empowernden Handlung, sondern vielmehr zu einem tiefen Schwächeempfinden. Besitzt nicht der Verstand letztlich die stärkere Kraft? Und besteht nicht die Urangst vieler Männer bis heute darin, geistig von Frauen überholt zu werden? Ich für meinen Teil würde lieber über meinen vor Kraft sprühenden Geist wahrgenommen werden und diesen als kluge Waffe benutzen, als über meine sexuelle Potenz. Oft scheitere ich aber an der sozialen Wirklichkeit.
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