Ich bin Özlem. So heißt der neue Roman von Dilek Güngör und behauptet mit diesem doch klaren Statement etwas, was völlig unklar ist. Die Ich-Erzählerin weiß nämlich überhaupt nicht, wer sie ist, sondern nur, dass sie in der Wahrnehmung ihrer deutschen FreundInnen und Bekannten etwas ganz Bestimmtes sein soll. Die Türkin, die gut kocht zum Beispiel, denn Özlem kann das, weil ihre Mutter es ihr beigebracht hat. Özlem kocht auch gerne, sie leidet nur darunter, dass ihre besonderen Fähigkeiten sie in den Augen der Anderen auch noch zu derjenigen machen, die weiß, wie die Linsensuppe gegessen werden sollte. „Isst man das so, ja?“, wird sie etwa von ihrer Freundin Eva gefragt, die das nur nett meint, aber Özlem damit nervt. Denn Özlem ist in Deutschland aufgewachsen und kennt die Türkei nur von Urlaubsbesuchen. Ihr Türkisch ist schlecht, Deutsch spricht sie hingegen perfekt, sie arbeitet in einer Lernschule für MigrantInnen.
Dennoch muss sie sich immer rechtfertigen für das, was sie tut. Zum Beispiel, warum sie ihrer Tochter den typisch deutschen Namen Emilia gegeben habe, und nicht etwa einen türkischen. Özlem gefiel der Name Emilia, ganz gleich, woher er kommt.
Der Roman ist voller solcher Konfliktfelder, von denen eine zutiefst gekränkte Ich-Erzählerin in eindrücklich-nüchternem Tonfall berichtet.
Dabei ist die eigene Befreiung aus den Zuschreibungen der Anderen noch schwieriger als zunächst angenommen, weil das Gefühl dieser Festlegung paradox ist. Sie ist verhasst und gleichzeitig verspricht sie Bodenhaftung in einer Welt, die über feste Zuschreibungen funktioniert.
Wer ständig immer auch-als-Türkin angesehen wird, macht sich automatisch immer wieder zur Türkin, weil es die beruhigende Sicherheit verspricht, genau definierbar zu sein. Wie eine Verkleidung stülpt sich Özlem deswegen ein Klischee über Türkinnen nach dem anderen über. Auf der Gartenparty von Johanna, einer (auch) akademischen Freundin Özlems, bringt sie selbstverständlich Börek mit:
Was bringt Özlem mit? Börek mit Spinat. Meine Mutter hat nie Börek mit Spinat gemacht. Niemand erwartet von mir, dass ich etwas Türkisches mitbringe, aber für mich ist das logisch, Türkin bringt türkisches Essen mit und alle wollen das Rezept. Dabei habe ich mir das aus einem Kochblog rausgeschrieben.
Özlem passt sich an, hat sich von kleinauf angepasst, versucht es allen recht zu machen, um nicht negativ aufzufallen. Denn schon als Kind musste sie Rassismuserfahrungen über sich ergehen lassen, im Schulbus war sie diejenige, über die gelacht wurde, weil sie als Türkin ja sicher Knoblauch esse und deswegen „stinke“. Doch der älter werdenden Özlem fällt es immer schwerer, in bestimmten Situationen den Mund zu halten, in denen Widerstand geleistet werden müsste.
Erste Anzeichen einer Revolte beginnen im Supermarkt, lange herbeigesehnt, weil man den Leidensdruck der Protagonistin mehr und mehr spürt, beim Lesen die Passivität ihrer bloßen Gedanken kaum mehr erträgt. Eine Kassiererin äußert einen Spruch über Ausländer, locker dahergesagt, von ihr natürlich „nicht so gemeint“. Özlem steht an der Nachbarkasse, die Tränen kann sie schon lange nicht mehr zurückhalten und als sie von der Kassiererin gefragt wird, warum sie weine, bricht es aus ihr heraus. Endlich. Sie beginnt zu diskutieren, sich zu wehren, obwohl sie selbst ja nicht gemeint war. Weil sie zu den guten, integrierten Ausländern gehört, die Bioprodukte kaufen und „mit einem Deutschen verheiratet“ sind.
Nach diesem Ausbruch kann Özlem nicht mehr zurück in ihr Schneckenhaus. Sie konfrontiert auch ihre biodeutschen Freunde mit deren scheinbar unschuldig herausgeplauderten Vorurteilen über Türken und Araber, hält derem dekadenten Gequatsche einer privilegierten Oberschicht den Spiegel vor. Besonders viel Unverständnis für ihre Kritik erntet sie dabei bezeichnenderweise von Ralf, dem Mann einer ihrer Freundinnen. Ein weißer deutscher Mann aus der Akademikerschicht klärt Özlem über ihr Fehlverhalten auf, ist der geile „Kerl, der die Wahrheit ans Licht bringt“.
Die eigentliche, tiefe Kränkung Özlems besteht aber darin, dass ihre Freundinnen nicht begreifen was es heißt, mit Diskriminierungserfahrungen aufzuwachsen. Denn sie halten sie, statt ihre Reaktion zu verstehen, für empfindlich, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, immer wieder auf eine bestimmte Kultur oder aber auch „irgendwo dazwischen“ eingeordnet zu werden. Selbstreflexiv befragt Özlem hingegen sich selbst, sucht auf eine zermürbende Art Fehler bei sich, um zu dem Schluss zu kommen, dass die paternalistische Macht der Fragenden nur schwer durchbrochen werden kann:
Wäre es möglich, das Türkische an oder in mir oder wo immer es ist, zu behandeln wie ein Merkmal unter vielen, anstatt mein ganzes Wesen davon durchwachsen zu lassen? Wie denn, wenn immer alle fragen?
Man möchte Özlem zurufen, dass sie zumindest nicht alleine dasteht mit ihrer Kritik an der Gesellschaft, sich immer mehr zugleich oft auch feministische Stimmen mit mehrkulturellen Erfahrungen formieren, die sich in Romanen oder literarischen Essays zu Wort melden, feste Identitäten prinzipiell infrage stellen und der „elenden Herkunft“ entkommen. Enis Maci und Ferda Ataman sind nur zwei davon.
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