Die früh verstorbene Pop- und Soulsängerin Whitney Houston ist nun schon über drei Jahre tot. In ihren Liedern ging es um Liebe, besonders um die glückliche, die ihr privat verwehrt blieb. „Die bösen, alten Männer“, wie der SZ Autor Peter Richter aktuell im Nachruf auf ihre nun ebenfalls verstorbene Tochter Bobby Kristina Brown schreibt, die zeitgleich in den Achtzigern „über Tod, Hass und Kälte“ sangen, sind alle noch am Leben.
Zufall?
Die feministische Autorin und Journalistin Laurie Penny hat sich umfassendes vorgenommen, wenn sie im Vorwort ihres bei der Edition Nautilus erschienenen Buches, „Unsagbare Dinge“ (Sex, Lügen und Revolution) ankündigt, dass:
„Dieses Buch von Liebe und Sex in Zeiten staatlicher Sparmaßnahmen, von Gender und Neoliberalismus“
handelt. Konkreter heisst es:
„Es ist insofern feministisch, als es als Gegenmittel gegen die Kolonisierung unserer wichtigsten Leidenschaften durch Geld und Hegemonie eine feministische Politik progagiert.“
Pennys Text ist eine Polemik, geht also unverkrampft mit einem Thema um, das in der öffentlichen Debatte regelmäßig zu Herzattacken führt: FEMINISMUS.
Dabei fällt immer wieder auf, wie schwer er begrifflich zu fassen ist und wieviele Missverständnisse durch undifferenzierte Begriffsdefinitionen entstehen.
Was Feminismus nun zu leisten hat, bzw. was er leisten muss, betont Penny geschlechterübergreifend:
„Feminismus ist für alle da„.
Es geht um die Freiheit beider Geschlechter, um mehr Menschlichkeit im öffentlichen und privaten Raum. Penny entlarvt heutige, als frei propagierte Lebensentwürfe als Lügengebäude:
„Man hat uns angelogen. Frauen meiner Generation wurde erklärt, wir könnten ‚alles haben‘, solange ‚alles‘ Ehe, Babys, eine Karriere im Finanzwesen, ein Schrank voller schöner Schuhe und völlige Erschöpfung war und solange wir reich, weiß, hetero und artig waren. Für einen solchen Lebensstil braucht man natürlich eine Armee von Kindermädchen und Putzfrauen, und niemand hat sich bisher die Mühe gemacht zu fragen, ob auch sie „alles“ haben können.“
Es sind Eliterechte einer weißen, heteronormativen Oberschicht, die als feministische Errungenschaften von der westlichen Politik gefeiert werden. Streng vorgegebene, ökonomisch sinnvolle Hamsterkäfige in denen alternative Lebensentwürfe nicht vorkommen. Was eigentlich, wenn wir etwas anderes wollen?
Auch den Männern geht es nach Pennys Analyse ähnlich:
„Jungen Männern dagegen wurde vorgegaukelt, sie lebten in einer schönen neuen Welt der wirtschaftlichen und sexuellen Chancen, und wenn sie zornig oder eingeschüchtert seien, wenn sie sich von den widersprüchlichen Erwartungen eingeengt oder verunsichert fühlten, wenn sie unter dem Druck litten, sich maskulin zu geben, Geld zu machen, dominant zu sein, viele schöne Frauen zu vögeln und gleichzeitig ein anständiger Mensch zu bleiben, dann seien an ihrer Not Frauen und Minderheiten schuld.“
Die Emanzipation des Mannes könnte Männlichkeitfassaden als solche entlarven und selbstentfremdete Männer ihre Identität finden lassen. Eine bewegliche, in schillernden Farben wäre das, versteht sich.
Penny betont, dass eine Zeit kommen wird, in der wir entscheiden müssen, „ob wir uns ändern, um in die Geschichte zu passen, oder ob wir die Geschichte ändern“. Mit Hannah Arendt gesprochen, endlich einmal wieder einen neuen Anfang setzen; aktiv handeln und nicht bloß reagieren:
(…) „selbst wenn wir die richtigen Kleider kaufen und unsere Arbeit gut machen und uns jeden Tag mit zusammengebissenen Zähnen dasselbe Lächeln aufs Gesicht zwingen, haben wir keine Garantie, dass man uns in Ruhe alt werden lässt, bis die Flut einsetzt.“
Also lieber gegen den Strom schwimmen und es endlich wagen, Raum einzunehmen. Sich laut und breit Gehör verschaffen.
Die Autorin zeigt einleuchtend und schöpft dabei aus eigenen Erfahrungen, was passieren kann, wenn junge Frauen (aber auch mehr und mehr Männer), ihren Anpassungszwang am eigenen Körper auslassen:
„Essstörungen treten auf, wenn sich jugendliche Rebellion kannibalisiert. (…) Mädchen rebellieren seltener als Jungen. Zu viel steht für sie auf dem Spiel. Wir wissen, dass man uns nicht nachgibt, wenn wir zornig werden, man hat uns beigebracht, unsere Wut nach innen zu richten, eher uns weh zu tun als anderen.“
Mädchen sind aufgrund ihrer sozialen Konstruiertheit viel häufiger brav und angepasst. Nicht nur gemäß der Modelmagazine müssen sie freundlich und schön sein, weil sie sonst von Grund auf zu den Verliererinnen gehören. Eine Frau ohne Lächeln auf den Lippen wird nach Penny zur Bedrohung und erscheint unperfekt. Lieber „isst“ sie sich deswegen selber auf und bringt sich so zum Verschwinden, als dass sie anderen mal ordentlich in den Hals beißt.
Damit muss jetzt Schluss sein:
„Ich will eine Meuterei. Ich will, dass Frauen und Queers und alle anderen, die unter den Gender-, Macht- und Eigentumsstrukturen leiden – und das sind die meisten von uns -, nicht weiter darauf warten, dass sie für ihr Wohlverhalten belohnt werden.“
Deswegen:
„Wehrt euch gegen das Brandzeichen Weiblichkeit, das euch schon bei der Geburt ins Fleisch gebrannt worden ist, und Teil eurer Marke sein soll. Wenn ihr Freiheit wollt, dann wehrt euch.“
Eine Form der Freiheit, die Penny näher beleuchtet, ist die sexuelle Freiheit – im Gegensatz zu (Cyber-)Sexismus.
Auch hier steht wieder das gesellschaftliche Stigma der „idealen Frau“ im Fokus der Betrachtung:
„Ich finde es unfassbar, dass die weibliche Lust immer noch dermaßen tabuisiert ist. Die breite Gesellschaft wehrt sich bis heute gegen die Vorstellung, dass Frauen und Mädchen Sex um seiner selbst willen haben wollen, statt ihn im Tausch gegen Geld, Status oder Sicherheit über sich ergehen zu lassen. Wir haben uns nicht nach Erregung, Exstase und Schweißgeruch auf der Haut zu sehnen.“
Frau hat dabei die undankbare Wahl zwischen „unschuldiger Frau“ oder „Schlampe“. Dabei soll sie sexy aussehen, aber bloß nicht auf die Idee kommen, ihre eigenen sexuellen Wünsche zu äußern. Wer das Röckchen zu knapp trägt ist letzten Endes selber Schuld an gewalttätigen Übergriffen. Beim Lesen habe ich mich öfter gefragt: hatten wir diese Diskussionen nicht schon unzählige Male? Sehr sehr ermüdend, aber umso wichtiger, sie immer wieder anzustoßen, weil sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, und Penny meint gerade auch die verbalen Attacken, oft verharmlosend dargestellt werden. Penny untermauert ihre Beobachtungen und eigenen Erfahrungen mit entlarvenden Aussagen von häufig in der Öffentlickeit stehenden Personen, wie z.B. dem amerikanischen Kongressabgeordneten Todd Akin, in denen deutlich wird, wie stark Sexismus die Handlungsfreiheit und sexuelle Entfaltung junger Frauen einschränkt.
Letztlich wird die Persönlichkeit eines Mädchens lediglich als „Schmuck“ behandelt und sollte kein Ausdruck von Handlungsfeiheit sein.
Verändern wir diesen Zustand, und stören uns nicht daran, auf Widerstand zu stoßen, gerade wenn es um die Veränderung der „natürlichen Ordnung“ geht:
„Immer wenn Menschen verhindern wollen, dass sich die Welt allzu sehr verändert oder überhaupt verändert, behaupten sie, diese oder jene Veränderung sei ‚unnatürlich‘.“
Dabei werden diejenigen, die die patriarchalisch aufgebaute „natürliche Ordnung“ stören, als „nicht normal“ abgestempelt, obwohl gerade sie oft glückliche Auslöser für gesellschaftliche Veränderungen sind.
Schließen wir uns zusammen und leben „unnatürlich“, weil wir doch alle so nicht glücklich werden, oder, Jungs? Fakt ist doch, dass:
„Fast die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch das Patriarchat Männer und Jungen ebenso unterdrückt (hat) wie Frauen.“
Geherrscht haben immer nur einige wenige Vaterfiguren, also macht euch auf den Weg, verlorene Jungs, und emanzipiert euch von eurer inneren Herrschaft der alten Patriarchen. Seid nicht enttäuscht darüber, dass Macht und Bequemlichkeit nicht einfach euch gehören, sondern lasst uns entdecken, dass:
„‚Männlichkeit‘, wie wir sie bisher sahen, in Wahrheit nur eine Fassade ist, dass ‚Männlichkeit‘ in Wahrheit fragil, verletzlich und verletzend ist, dass sie nichts weiter ist als Menschlichkeit.“
Arrangiert euch damit, dass Frauen nicht weiter bloß Objekt der Begierde, also „passiv bestimmt“ sein wollen. Das perfekte Mädchen wird sich mit der Rolle der Prinzessin nicht weiter zufrieden geben, weil die Hexerei viel spannender ist, selbst wenn uns bis jetzt deswegen gesellschaftlich nur die Ofentür bleibt. Überlegt selbst:
„Warum sollte ein kleiner Junge den hübschen Prinzen spielen wollen, wenn er ein Ritter oder Zauberer sein kann, ein Held oder ein Schurke, Superman oder Batman? Kleine Mädchen dagegen haben nur zwei Möglichkeiten: Wir können die Prinzessin geben oder die Hexe. Und wir wissen doch, was mit Frauen passiert, die unkontrolliert hexen. Geschichten zeigen Wirkung. Mädchen, die sich in der Welt orientieren, lernen nach wie vor, dass ihnen, sofern sie nicht das Liebesobjekt spielen wollen, nur die Ofentür offen steht.“
Zauberer und Hexen könnten kreative Teams bilden, um die Welt freier, also menschlicher zu machen. Und auch Frauen dürften dem nachgehen, was sie lieben, wovon sie wirklich überzeugt sind. Auch wenn sie dann vielleicht manchmal ein bißchen weniger liebenswert erschienen, weil sie für die eigene Sache brennen würden und nicht nur für den Mann.
Ach. Warum hat Whitney Houston ihr grandioses Organ nicht dazu benutzt, ihre ganze enttäuschte Liebe durch Wut- und Hasslieder auszudrücken? Auch wenn sie dann zu den „bitches“ und nicht mehr zu den wunderschönen, leidenden, aufopferungsvoll-liebenden Diven gehört hätte. Ihrer Kunst hätte das bestimmt keinen Abbruch getan. Höchstens der allgemeinen Vorstellung von einer „idealen“ Frau.
Penny entscheidet sich mit ihrer wütenden Schreibe zum Glück für einen lebensbejahenden, konstruktiven Angriff. Ihr Text erschlägt die Leser/innen dabei fast, aber erzeugt durch den entstehenden Lektüreschmerz eine wohltuende Wirkung. Er ist in seiner Strukturiertheit seltsam strukturlos; verästelt, assoziativ, wissenschaftlich, emotional. Im argumentativen Chaos blitzt vielleicht etwas auf, was Ingeborg Bachmann oder Christa Wolf als „weibliches Schreiben“ bezeichnet hätten. Meint, eine Stimme, die sich bereits mit 28 Jahren freigeschrieben hat von etablierten, meist männlichen Vorbildern. Und wenn es nur ein Fitzelchen so ist. Damit kann die Revolution beginnen!
Einem selbstzerstörerischen „iiiiiiiiiii, will always love you……..“ der Whitney Houston setzt die Autorin deswegen selbstbewusst entgegen:
aber nicht über meine Leiche.