Adas Raum ist unbegrenzt und bewegt sich in Schleifen von Handlungsstrang zu Handlungsstrang. Ada, das sind wir Frauen, egal ob schwarz oder weiß, egal, in welcher Kultur oder welchem Jahrhundert sozialisiert. Verbindend ist, dass unsere Körper gleichfalls (auch) Lebensräume sein können, wenn wir Mütter werden. Es sind Körper, die Leben ermöglichen, denen aber oft Gewalt angetan wird, weil patriarchale Schlachten auf ihnen ausgetragen werden. Oft wirken sie elementar auf historische Geschehnisse ein, und bleiben doch unerkannt, weil unterdrückt.
Nehmen wir das Jahr 1848. Hier wird Ada zur Computer-Pionierin, sieht voraus, dass die Menschheit eines Tages ins Weltall fliegen wird. Sie erläutert ihrem Liebhaber Charles (Dickens) ihre logischen Überlegungen dazu, er lacht über sie, weil er sich nicht vorstellen kann, dass ein simples Mädchen solche Ideen haben kann. Im gleichen Atemzug übernimmt er sie in seinen nächsten Roman mit der gönnerhaften Bemerkung, dass der Roman nach Ada benannt werde. 1848 bekommen Frauen (noch) keine Öffentlichkeit, in der ihr kreativer Geist gleichberechtigt zu dem des Mannes Anerkennung findet. Alles läuft nur über den Mann, das weibliche Leben ist an ihm ausgerichtet und endet durch seine Hand.
Auch die Ada, die 1945 als Zwangprostituierte im KZ Dora bei Nordhausen eine zeitlang überlebt, bekommt das Machtungleichgewicht am eigenen Leib zu spüren. Sharon Dodua Otoo beschreibt beklemmende Szenen in den Baracken, gibt verdinglichten Frauen eine Stimme, die in der ganzen Aufarbeitung des Holocausts kaum gehört wurde. Sie flicht Schleifen, schafft Bezüge, die zunächst einmal nicht auf der Hand liegen. Was hat der Holocaust z.B. mit der Kolonialisierung Ghanas zu tun? Man könnte meinen, der Roman sei zu konstruiert. Diesem Eindruck muss entgegengehalten werden, dass Ada als Zeitreisende, keine räumlichen, künstlichen Grenzen kennt. Alles gehört mit allem zusammen, so wie ein Kind niemals nur von einer einzigen „Mutter“ erzogen wird, sondern von vielen, von all denen, die sich um es kümmern, es beeinflussen. Phantastische Elemente haben eine zentrale Rolle bei der Narratologie des Textes und befreien ihn zusätzlich vom Vorwurf der Konstruktion: Das Eigenleben der Dinge. Reisigbesen, Türklopfer und Reisepass begleiten Ada durch die Jahrhunderte. Sie kommentieren ihr Verhalten, ihr Leiden, kreisen gleichzeitig wie Menschen um sich selbst. Sie sind bei ihr, legen Zeugnis ab über weibliche Schicksale, dessen Handlungsspielraum fatalerweise bis ins 21. Jahrhundert hinein ein begrenzter ist. Zuletzt befinden wir uns in Berlin. Der Wohnungsmarkt dort ist leergefegt, Ada hochschwanger und für die WohnungsbesitzerInnen vor allem schwarz:
In Ghana wurde Ada schleichend zur Frau und bekam es kaum mit. In Deutschland wurde Ada schlagartig zur Schwarzen und spürte es sofort.
Die sprechenden und beobachtenden Gegenstände bringen eine wohltuende Komik in die manchmal bedrückende Handlung, verwirren bei der Lektüre, weil nicht sofort ersichtlich ist, wer oder was spricht. So ist Adas Raum eine Herausforderung für LeserInnen, die linear strukturierte Plots gewöhnt sind. Für diejenigen, die sich darauf einlassen, eröffnen sich Bewusstseinsbereiche, in denen Dinge zutage treten, von denen man überzeugt war, dass sie nichts miteinander zu tun haben.
Letzte SkeptikerInnen dieses Phänomens werden zuletzt durch die Erzählung über die Weltreise eines weiteren Gegenstands davon überzeugt. Es geht um ein kostbares Armband aus Afrika, das die Turbulenzen der historischen Geschichte überlebt und dessen Trip im Heute noch lange nicht zuende ist, weil es im Moment dort ist, wo es nicht hingehört.
Obwohl die Geschichte über das Armband nicht auserzählt wird, ergeben die übrigen gezogenen Schleifen zum Ende des Romans einen Kreis. Wo Ada am Anfang tote Babys betrauert, wird am Ende ein lebendes geboren, zwar auch unter Schmerzen, aber hoffnungsvollen. Der Roman Adas Raum wirkt nicht nur nach, weil er literarisch Grenzen überschreitet, die in der Gegenwart leider immer noch existieren, sondern auch, weil er weibliche Bewusstseine zum Erscheinen bringt. Starke, oft ungehörte Bewusstseine, ohne die Leben nicht möglich wäre.