Die Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen kennt sie aus ihrer Praxis für Psychoanalyse: Personen mit einer pathologischen Narzissmusstörung. Meistens suchen allerdings deren Opfer Hilfe bei ihr, weil Narzissten selten auf die Idee kommen, dass sie krank sein könnten. Die Autorin beginnt ihre Ausführungen nicht mit einem theoretischen Überbau, sondern führt den Leserinnen und Lesern zunächst das Paradebeispiel eines toxischen Narzissten vor. Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump erfüllt aus Sicht der klinischen Diagnose alle Kriterien. Neun sind es an der Zahl und die Autorin füllt jedes einzelne mit Beispielen aus Donald Trumps Verhalten. So bewegt er sich zum Beispiel ständig zwischen Emphase, Superlativ und Hyperbel. Wenn er seine Mitarbeiter vorstellt, benutzt er stets den Superlativ. Über den Chef von ExxonMobil, Rex Tillerson, den er im Februar 2017 zum Außenminister ernannte (und ein Jahr später feuerte), sagte er: ‚Er ist der größte, geschickteste Geschäftsmann der Erde, er ist unglaublich!‘ (Kriterium 2: Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe).
Selbst diejenigen, die Trump für einen gesunden Menschen halten, werden nach der Analyse der Autorin ins Grübeln geraten. Sie hat ihn über Jahre sehr genau beobachtet und formuliert bereits im ersten Kapitel eine wichtige These des Sachbuchs. Narzissten wie Trump schaffen es an die Macht, weil die heutige Gesellschaft eine narzisstische ist. All die Trumps, Putins und Bolsonaros sind hausgemacht in einer Welt, in der derjenige erfolgreich ist, der sich am besten verkaufen kann. Ich schreibe bewusst derjenige und nicht diejenige, weil das Krankheitsbild vorwiegend bei Männern vorkommt. Denn:
Männer tendieren eher als Frauen dazu, andere auszubeuten und auf gewisse Privilegien Anspruch zu erheben. Im Bereich des Führungsanspruchs zeigen Männer eine stärkere Selbstbehauptung und ein stärker ausgeprägtes Verlangen nach Macht als Frauen. Hingegen stellten die Wissenschaftler keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Angeberei fest, woraus zu schließen ist, dass Eitelkeit und Selbstgefälligkeit kein Privileg der Männer ist. All diese Feststellungen können durch Stereotypen erklärt werden, die in der Kultur und der Erziehung verwurzelt sind.
Weiter analysiert die Autorin drei unterschiedliche narzisstische Pathologien. Den grandiosen Narzissten (Trump), die verletzlichen Narzissten (potentielle Amokläufer), die narzisstischen Perversen oder Psychopathen (Putin).
Natürlich sollte jeder Mensch einen gewissen Grad an Narzissmus (kurz: Selbstliebe) besitzen, sonst ist er nicht überlebensfähig. Ein gesunder Narzissmus ist aber immer auch erfüllt von Schamgefühlen und der Fähigkeit zur Selbstreflexion. Doch wo verläuft nun genau die Grenze zwischen einem akzeptablen und einem pathologischen Narzissmus? Da beginnt die Autorin ungenau zu werden, flüchtet sich in klinische Studien, die keine messbare Klarheit bringen. Eindrücklich nacherzählte Fallbeispiele sind es, die verdeutlichen, welche Verhaltenweisen krankhaft sind und welche nicht.
Die Psychoanalytikerin betont, dass narzisstische Krankheiten zunehmen und begründet dies mit der Verhärtung der Arbeitswelt. Die in ihr tätigen Personen würden immer weniger in ihrer Besonderheit geachtet. Diese Annahme belegt sie durch Untersuchungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche. Differenziert beschreibt sie das aktuelle Verhalten der Narzissten in Unternehmen auf der Führungsebene, in der Wissenschaft oder Politik. Die Welt ist voller toxischer, mächtiger Männer, Tendenz steigend. Ihre Ausführungen sind nachvollziehbar und öffnen die Augen dafür, die Blender frühzeitig zu erkennen (gerade für PersonalerInnen im Unternehmen ist das hilfreich!). Denn sie sind oft gute Schauspieler, verkaufen sich smart, talentiert und empathisch – bis sie die Position erreicht haben, die sie erreichen möchten.
Schade ist, dass Hirigoyen ihr Versprechen, das im Untertitel des Buches angekündigt wird, nicht einlöst. Wie wir uns gegen Narzissten wehren, geht in der Hoffnung unter, die 80er und 90er Generation möge ein Problembewusstsein entwickeln. Sie meint sogar bei der heranwachsenden Jugend ein verändertes Konsumverhalten (!) zu erkennen, eine Art Rebellion gegen unser neoliberales Wirtschaftssystem, der Wurzel allen Übels. Das ist eine sehr optimistische Sichtweise und ein enttäuschendes Schlusskapitel für dieses ansonsten erhellende und klug verfasste Sachbuch.