Wenn man sie zusammen sieht, wirken sie fast wie Brüder, die sich eigentlich richtig gut verstehen. Brüder, die gerne miteinander streiten, und dies tun, da sie wissen, dass es inhaltlich konstruktiv wird, gerade weil sie sich gegenseitig schätzen, trotz politisch konträrer Ansichten. Mit dem Sozialphilosoph Axel Honneth könnte man sagen, Anerkennung als wechselseitiges, grundlegendes Prinzip für eine gelingende Kommunikation ist vorhanden, woran häufig schon viele Talkshowrunden zu Beginn der Debatte scheitern. Jakob Augstein, Herausgeber der Wochenzeitung Der Freitag, und Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der BILD, haben allerdings noch eine andere Sache gemein, die einem freundschaftlich aufgebauten Politbattle den nötigen drive gibt: Sie halten sich beide jeweils für eloquenter und argumentativ versierter, ja, einfach schlauer als den Gegenüber. So wird „Reformator“ Augstein am Anfang des Buches zitiert:
„Ich brauche nur noch ein bisschen Zeit, dann mache ich aus Blome einen echten Herzenslinken. Das wird ein Coming-out!“.
„Pädagoge“ Blome zu seinem Kontrahenten:
„Man muss das Ganze als Erziehungsprojekt verstehen. Am Ende kann auch ein linker Träumer wie Augstein in die politische Realität ausgewildert werden. Es wird aber noch dauern, fürchte ich.“
Optimistisch sind sie also beide, nicht nur, was den Gesinnungswandel des anderen betrifft. Hoffen lässt auch der Untertitel des Buches, der ankündigt, „Antworten auf die Fragen der Deutschen“ zu geben. Ein universeller Anspruch, der eigentlich scheitern muss, weil er größenwahnsinnig ist; aber auch wohltuend idealistisch, anpackend und erfrischend. Folgende große Fragen stehen zur Diskussion:
Macht, Geld, Moral, Heimat, und, etwas kryptisch:
Wir, Die.
Wer Augstein und Blome von ihren öffentlichen Auftritten her kennt, der wird bei einigen Themen zum Beispiel zur Frage „Wieviel Anstand haben die Bosse?“ (Geld) inhaltlich wenig Überraschungen erleben. Blome vertritt klassisch wirtschaftsnahe Positionen, lobt die Soziale Marktwirtschaft und argumentiert pro Agenda 2010. Gleichzeitig bemängelt er aber auch das unmoralische Handeln der Manager bei Bonuszahlungen. Augsteins Konter: Die Bonuszahlungen seien kein Fehler im System, sondern das System in welchem solche Ungerechtigkeiten möglich seien, sei selbst der Fehler.
An diesen beiden Statements fällt bereits auf, was die Debatten wie einen roten Faden durchzieht. Blome räumt in vielen Punkten Probleme, Mängel ein. Sei das jetzt innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft, oder konkret das Verhalten der Presse in Deutschland. Grundsätzlich ist aber alles schon gut so, wie es ist. Da hält Augstein konsequent dagegen und zeichnet ein viel pessimistischeres Bild von Deutschland und der Welt. Zugespitzt könnte man sagen: Hier diskutieren Merkel gegen Schulz.
Aber das stimmt so nicht ganz. Denn beide irritieren immer wieder auch durch Aussagen, die man ihnen nicht so ohne weiteres zugetraut hätte, weil sie aus der Reihe der vertrauten, angestammten politischen Position tanzen. Zum Beispiel fällt auf, wie stark Augstein in manchen Punkten Helmut Kohl und seine Politik lobt, etwa in der Frage „Dürfen die Deutschen Europa führen?“ (Macht). In solchen Momenten verschwimmen die gezogenen Grenzen zwischen dem linken und dem rechten Lager, und es wird deutlich, dass es den beiden um die Sache geht, darum, nicht unbedingt auf Teufel komm raus eine „Richtung“ zu vertreten, sondern sich auch durch die Argumente des anderen beeinflussen zu lassen, um den eigenen Standpunkt zu überdenken. Ja, es geht hier bei allem Showgetue um Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten, gepaart mit dem Wunsch, diesen an ein Publikum zu vermitteln, das nicht unbedingt jeden Tag Zeitung liest. Augsteins Zitatesammlung aus Literatur und Philosophie würzen die Positionen zusätzlich mit anschaulichem Sprachmaterial („Das Sein bestimmt eben das Bewusstsein“). Andersherum kann Blome plötzlich links einschwenken, etwa wenn er betont, dass er sich eine „Rot-Rot-Grüne“ Regierung wünsche. Er macht das sicher ein stückweit, um zu provozieren, die Show anzustacheln, Augstein in Sicherheit zu wiegen. Aber doch auch, weil er wirklich denkt, dass Polarisierung im Bundestag der Politik gut täte.
B: „Wissen Sie was, ich wünsche mir Rot-Rot-Grün. (…) ich verstehe nicht, warum es SPD, Grüne und Linkspartei nicht wenigstens versuchen. Das sind doch Profis, und sie wissen, dass sie alle Differenzen in einem ganz normalen Koalitionsvertrag klären oder einfrieren könnten.“
Darauf ein ungläubiger Augstein:
A: „Eine linke Alternative zur Unterhaltung gelangweilter Konservativer?“
Es sind diese Überraschungsmomente, in denen es den Journalisten gelingt, tiefer in die Debatte vordringen. Augstein muss auf Blomes Provokation klare Kante zeigen, und er tut dies, indem er antwortet, dass weder SPD noch Grüne als linke Parteien bezeichnet werden können. Seine Ausführungen enden mit dem wunderschönen Satz: Politik braucht Utopie. Absolut.
Ungewohnt schüchtern wird die Debatte in der Frage eingeleitet: „Was sollen Frauen wollen?“ (Moral):
A: „Wir wollen über Frauen und Familie reden – als Feministen unter sich, oder wie?“
B: „Warum sollen wir nicht über eine der größten Umwälzungen in der Gesellschaft der letzten 50 Jahre genauso gut sprechen können wie jede oder jeder andere? Wenn sich das Rollenbild von Frauen und Töchtern ändert, macht das etwas mit den Männern und Vätern. Sie haben doch auch eine Tochter.“
A: „Ja. Ich wollte nur eine salvatorische Klausel anbringen. Wenn Männer über Frauen sprechen, bin ich immer skeptisch(…)“
Augstein ist sich also über seine eigene Rolle bewusst, wenn er über Frauen spricht. Dementsprechend vorsichtig äußert er sich über deren mögliche Wünsche und macht seinen argumentativen Punkt hinter dem Stichwort Doppelbelastung (Kind und Karriere). Blome sieht das Problem – klassisch konservativ – eher darin, dass die Frau heutzutage eine soziale Ächtung erfährt, wenn sie sich ausschließlich um Kind und Familie kümmern möchte. Dies sei ein „vormodernes Frauenbild“, kontert Augstein.
Beide werfen sich spielerisch die Bälle zu, bemühen sich, die Frage befriedigend zu klären und dennoch bleibt eine gewisse Unbefriedigung nach der Lektüre dieses großen und wichtigen Streitthemas, weil die angesprochenen Probleme merkwürdig abstrakt bleiben, obwohl sie doch so konkret sind. Vielleicht weil es gerade Blome schwerfällt, sich wirklich in die Situation der Frauen hineinzuversetzen, und es der Diskussion an Ernsthaftigkeit fehlt.
Überhaupt sind die stärksten Streitgespräche diejenigen, die eine Balance zwischen Unterhaltungs- und Informationsanspruch herstellen, die oft in den Bereichen funktioniert, in die beide Journalisten auch emotional involviert sind. Die Debatte „Lügt die Lügenpresse?“ (Moral) wäre ein herausragendes Beispiel.
Einige Themen werden leider oft nur kurz angerissen und nicht richtig ausgeführt. Das liegt vor allem an der Fülle des Stoffes – immerhin geht es um die Beantwortung DER Fragen der Deutschen – einem Megaprojekt, zu dem Veröffentlichungen wie „Links oder rechts?“ von Augstein und Blome einen wichtigen Beitrag leisten.
Neue Kommentare